Partnerschaft von Ordnung und Chaos

ist mindestens so alt wie die Idee, Büroschreibtische zusammenzustellen.

Unweigerlich sitzt nämlich auf der einen Seite dieser Zwangsgemeinschaft ein Angestellter, der dazu neigt, alles ihm unwichtig Scheinendes, streng in Mappen geordnet, den Schubladen anzuvertrauen.

Auf der anderen Seite dieses in einem wortlosen Kleinkrieg gefangenen Stilllebens haust jemand. Vermutlich ebenfalls ein Mann.

Denn hinter den turmhohen Stapeln aus wichtigen Ausdrucken, Formularen und anderem Krimskrams ist die Person kaum zu sehen.

Keiner der beiden ist imstande zu verstehen, wie der jeweils andere zu arbeiten vermag. Jeder ist sicher, alles richtig zu machen. Fürsprecher haben aber zumeist nur die Ordentlichen – dem fleißigen, stempeluhrgeprägten Angestellten ist das Chaos beim Gegenübersitzenden nicht so recht geheuer. Er weiß ja auch nichts über eine aktuelle Studie, wonach Unordnung die Kreativität fördert und das Durchbrechen von Konventionen, das Abstreifen des Korsetts althergebrachter Regeln die Arbeitslust steigert.

Wenn sich die Studie erst einmal herumgesprochen hat, brechen umgehend goldene Zeiten an für alle, die schon vor Jahren vergessen haben, welche Farbe ihr Schreibtisch hat. Der Sperrmüll kommt dann nicht mehr auf die Deponie, sondern ins Atelier eines heimischen Künstlers zwecks Anfertigung eines Exponates für die nächste Ausstellung im Kulturhaus.

Rechtschreibung ist doch auch so was von ordentlich. Sprache versteht man schließlich auch ohne diese ganzen lästigen Regeln. Man braucht nur gewisse Werbeslogans aufmerksam studieren. Und erst wenn das kreative Chaos auch in der Buchhaltung des Unternehmens Einzug gehalten hat, die Gehaltsauszahlung an den Prokuristen auf dem Bankkonto des Lehrlings gelandet ist, sind wir dort angelangt, wo wir doch eigentlich alle hinwollen – in einer Ära, in der von Bürokraten ersonnene Vorschriften mit oft unverständlichen Formulierungen der Vergangenheit angehören.

Die Frage stellt sich aber, ob wir das wirklich wollen?